mdm - Mitteldeutsche Medienförderung

Authentische Adaption – „Jeder stirbt für sich allein”

 

Seit zehn Jahren ist Görlitz einer der gefragtesten mitteldeutschen Drehorte für internationale Großproduktionen. Bis Anfang Juni verfilmte Vincent Perez dort mit Stars wie Emma Thompson, Brendan Gleeson und Daniel Brühl Hans Falladas posthumen Bestseller „Jeder stirbt für sich allein”.

Durch französische Produktionen wie „Cyrano de Bergerac”, „Indochine” oder „Die Bartholomäusnacht” wurde Perez Anfang der 1990er Jahre zum weltweit beachteten Schauspieler. Doch der gebürtige Schweizer wollte mehr: Mit dem von Luc Besson produzierten Drama „Peau d'ange – Engel weinen nicht” lieferte er 2002 sein Debüt als Regisseur ab. Der in Kanada gedrehte Thriller „In deiner Haut” mit David Duchovny („Akte X”) und Lili Taylor in den Hauptrollen folgte 2007. Dazwischen, im Jahr 2004, las Perez Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein”. Seitdem brannte er darauf, die Geschichte fürs Kino zu inszenieren. „Ich hatte immer eine starke Beziehung zu Deutschland, weil meine Mutter Deutsche ist. Außerdem habe ich mich sofort in das Buch verliebt. Es ist ein aufschlussreiches Porträt des Dritten Reichs, mit ganz normalen Menschen, denen man damals überall auf der Straße hätte begegnen können”, findet er.

Der 1947 veröffentlichte, auf Tatsachen basierende Roman über das Berliner Arbeiter-Ehepaar Otto und Anna Quangel, das 1940 seinen Sohn an der Westfront verliert und daraufhin mit heimlich verteilten Postkarten zum Kampf gegen Hitler aufruft, avancierte nach der Jahrtausendwende plötzlich zum Bestseller – zunächst in Frankreich, wo 2002 eine Neuauflage erschienen war, danach in den USA, Großbritannien und schließlich auch in Deutschland, nachdem der Aufbau Verlag 2011 die ungekürzte Originalfassung herausbrachte. Gemeinsam mit der Pariser Produktionsfirma Master Movies erwarb Perez 2006 die Filmrechte. Zwei Jahre später stieg die Berliner X Filme Creative Pool bei dem Projekt ein. „Ich habe das Buch gelesen, als ich elf oder zwölf war. Meine Mutter hatte es im Bücherschrank stehen. Als Vincent zu mir kam und meinte, er wolle es verfilmen, habe ich es nach all den Jahren nochmal gelesen und war begeistert. Es zeichnet ein völlig authentisches Bild der damaligen Zeit”, sagt X Filme-Produzent Stefan Arndt. 

Achim von Borries und Vincent Perez verwandelten die über 600 Seiten starke Vorlage in ein Drehbuch. „Obwohl wir dabei zwangsläufig Elemente des Romans opfern mussten, sind wir, glaube ich, seinem Geist sehr treu geblieben – schon allein aus Respekt vor Fallada und vor der wirklich schönen Liebesgeschichte der Quangels”, sagt Perez.

Trotz der deutschen Thematik entsteht der Film mit deutlicher Ausrichtung auf den internationalen Markt. Drehsprache war Englisch, als zusätzliche Produzenten kamen FilmWave (GB) und Hollywood-Größe James Schamus („Brokeback Mountain”) hinzu. Für die Hauptrollen der Quangels gewannen die Macher Oscar®-Preisträgerin Emma Thompson und Brendan Gleeson, die in Arndts Augen „der Inbegriff eines anständigen proletarischen Paares” sind. Den Gestapo-Kommissar Escherich, der den beiden auf die Schliche kommt, verkörpert Daniel Brühl, ein einheimischer Star mit Zugkraft im Ausland. In weiteren Rollen sind Katrin Pollitt, Lars Rudolph und Imogen Kogge zu sehen. 

Hauptdrehort des Films war für viereinhalb Wochen das sächsische Görlitz, dessen historische Altstadt in der jüngeren Vergangenheit bereits internationale Großprojekte wie „Inglourious Basterds”, „Der Vorleser” oder zuletzt „Grand Budapest Hotel” anlockte. Unter anderem drehte Vincent Perez dort alle Szenen, die im mehrgeschossigen Wohnhaus der Quangels spielen, wo sich linientreue Nazis, Denunzianten, Juden und ein pensionierter Richter die Klinke in die Hand geben. „Es ist wie ein Mikrokosmos des Dritten Reichs und seiner Bevölkerung”, findet Perez. In der Görlitzer Emmerichstraße durfte das Team für den Dreh rund 40 Meter Asphaltdecke durch Kopfsteinpflaster ersetzen. „Der Bürgermeister hat uns das ermöglicht, wofür wir sehr dankbar sind. Es wäre höllisch kompliziert, das später digital einzubauen”, freut sich Stefan Arndt. Auch die Außenaufnahmen der Fabrik, in der die Quangels arbeiten, wurden in Görlitz gefilmt. Daneben machten Cast und Crew im Laufe der insgesamt 53 Drehtage in Nordrhein-Westfalen sowie in Berlin Station. Gefördert wurde die Produktion von der Mitteldeutschen Medienförderung, der Film- und Medienstiftung NRW, dem Medienboard Berlin-Brandenburg sowie von FFA (Mini-Traité), DFFF und Eurimages. Voraussichtlich 2016 wird das Drama über X Verleih im Kino anlaufen.

Text: Alexander Kolbe, erschienen im MDM Infomagazin Trailer 3-2015 
Foto: Stefan Arndt, Vincent Perez, Emma Thompson und Brendan Gleeson am Set in Görlitz