Unterhaltsam und provokant - „Ma Loute”
Mit seiner schwarzen Komödie „Ma Loute” kämpft Bruno Dumont („Twentynine Palms”) im Wettbewerb von Cannes um die Goldene Palme. Deutsche Koproduzenten des Films mit Juliette Binoche, Fabrice Luchini und Valeria Bruni Tedeschi in den Hauptrollen, der Anfang des 20. Jahrhunderts an der französischen Ärmelkanalküste spielt, sind Twenty Twenty Vision Filmproduktion und die in Halle (Saale) ansässige Pallas Film.
Bruno Dumont ist mit „Ma Loute” bereits zum sechsten Mal in Cannes zu Gast. Sowohl „L'Humanité” (1999) als auch „Flandern“ (2006) brachten dem 57-Jährigen den Großen Preis der Jury ein. Zuletzt stellte er 2014 in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs seine TV-Miniserie „Kindkind” vor, die danach bei Arte ausgestrahlt wurde. Der einstige Philosophie-Lehrer gehört zu den renommiertesten, aber auch umstrittensten Vertretern des zeitgenössischen Autorenkinos. Seine häufig in der französischen Provinz verorteten Werke polarisieren mit drastisch-radikalen Reflexionen über Sexualität, Gewalt, Krieg und Fremdenfeindlichkeit.
Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass „Ma Loute” alles andere als eine normale Komödie geworden ist. Die „Romeo und Julia”-Variation spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einem kleinen Badeort an der Küste des Ärmelkanals, wo immer wieder Urlauber unter mysteriösen Umständen spurlos verschwinden. Der fettleibige, vertrottelte Polizeiinspektor Machin und sein Assistent Malfoy tappen im Dunkeln. Hinter den Vorfällen steckt die ärmliche Fischerfamilie Bréfort, deren männliche Mitglieder allesamt Kannibalen sind. Als die reiche, versnobte Familie Van Peteghem, die infolge von Inzucht degeneriert ist, in den Ort kommt, um dort in einer Villa die Sommermonate zu verbringen, verliebt sich Ma Loute (Brandon Lavieville), der 18-jährige Sohn der Bréforts, in Billie (Raph), die Tochter der Van Peteghems, was beide Sippen in ihren Grundfesten erschüttert. „Das Melodramatische und die Lyrik der Liebesgeschichte vermischen sich mit der Extravaganz der unterschiedlichen Charaktere zu einer Farce, die burleske Züge annimmt”, sagt Dumont über seinen Film.
Produziert wurde „Ma Loute” von 3B Productions (Frankreich), der Berliner Twenty Twenty Vision Filmproduktion und der in Halle (Saale) ansässigen Pallas Film, auf TV-Seite waren Arte France, WDR/arte, Canal+, Cine+ und Canal+ Afrique involviert. „Wir mochten die Geschichte, den Regisseur und die geplante Besetzung und haben uns schnell entschieden, in das Projekt einzusteigen. Bruno Dumont gelingt es auf eine sehr unterhaltsame und provokante Weise, die an ‚Delicatessen‘ erinnert, Sozialkritik mit einer bizarren Kriminalgeschichte zu vereinen”, sagt Thanassis Karathanos, Geschäftsführer von Twenty Twenty Vision und Pallas. Mit beiden Firmen realisierte er zuvor schon einige Koproduktionen mit französischer Beteiligung, darunter „Irina Palm” von Sam Garbarski, „Die Wolken von Sils Maria” von Olivier Assayas, der es 2014 in den Wettbewerb von Cannes schaffte, oder auch den diesjährigen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Soy Nero” von Rafi Pitts. „Frankreich ist ein guter Partner für gemeinsame Projekte, da sie zum einen über hervorragende Talente in allen kreativen Bereichen und zum anderen über diverse gute Finanzierungsmöglichkeiten verfügen, allen voran das Mini-Traité von FFA und CNC“, konstatiert Karathanos. Daneben erhielt „Ma Loute” auch von der Mitteldeutschen Medienförderung und dem Medienboard Berlin-Brandenburg sowie von Pictanovo Nord-Pas-de-Calais, Le Fresnoy, Scope Pictures, Cofinova, Cinemage und Soficinema Fördergelder.
Die Dreharbeiten fanden im vergangenen Jahr komplett in Nord-Pas-de-Calais, der nördlichsten Region Frankreichs, statt. Für die Rollen der Van Peteghems gewann Dumont Schauspielgrößen wie Juliette Binoche (die bereits in seinem Drama „Camille Claudel 1915” die Hauptrolle spielte), Fabrice Luchini („Das Schmuckstück”) und Valeria Bruni Tedeschi („5x2 - Fünf mal zwei”). „Sie spielen im Film in einer Art und Weise, wie wir sie noch nie zuvor im Kino erlebt haben”, findet Karathanos. Die Familie Bréfort und die anderen Einwohner des Küstenortes besetzte der Regisseur weitgehend mit Laiendarstellern aus der Gegend – eine Strategie, die er auch bei vielen anderen seiner Filme anwendete, um ein Höchstmaß an Authentizität zu erreichen. Die deutsche Kinoauswertung von „Ma Loute” wird der Verleih Neue Visionen übernehmen. Für den Weltvertrieb ist Memento Films verantwortlich.
Text: Alexander Kolbe
Foto: 3B productions/R. Arpajou